KONRAD ADENAUER “Wir
wünschen die Einheit Deutschlands, wir wünschen sie von ganzem Herzen und von
ganzer Seele. Wir wünschen ein freies Deutschland, in dem der deutsche Mensch
ein menschenwürdiges”
Ansprache des Präsidenten des
Parlamentarischen Rates nach der Schlussabstimmung über das Grundgesetz 8. Mai
1949
Meine Damen und Herren! Ich bitte
Sie, im Hinblick auf die Bedeutung des Werkes, das wir soeben vollendet haben,
nach den Minuten der Erregung jetzt noch einige Augenblicke zusammenzubleiben,
damit wir uns klar darüber werden, was geschehen ist und in welcher Lage wir
sind.
Ich bitte zunächst feststellen zu
dürfen, damit die Öffentlichkeit draußen kein falsches Bild bekommt, dass von
den 13 Vertretern Bayerns im Parlamentarischen Rat sieben die Verfassung bejaht
haben - also die Mehrzahl -, und ich glaube, man kann doch die Hoffnung haben,
dass auch im bayerischen Landtag sich eine Mehrheit findet, wenn dieses
Grundgesetz demnächst den Landtagen vorgelegt werden wird. Meine Damen und
Herren! Es ist wohl in Wahrheit - und ich glaube, auch keiner von denen, die
ihre Nein-Stimme begründet haben, wird das bestreiten - für uns Deutsche der
erste frohe Tag seit dem Jahre 1933. Wir wollen von da an rechnen und nicht
erst von dem Zusammenbruch an, so schwer die Jahre des Zusammenbruchs auch
waren. Die Jahre von 1933 bis 1945, die uns in einer fürchterlichen
Knechtschaft sahen, dürfen nicht aus unserem Gedächtnis gewischt werden. Die
Zeit, die hinter uns liegt, war schwer, und wir beginnen erst langsam einen
Blick und einen Schritt in eine bessere Zukunft zu tun. Lassen Sie mich
zunächst auch den Außenministern der drei Weltmächte danken, die - ich rufe es
nochmals in Ihr Gedächtnis zurück - von Washington aus sich unsere Sache haben
angelegen sein lassen. Lassen Sie mich in dieser Stunde auch den
Militärgouverneuren danken, die unseren Interessen doch mit großer Achtsamkeit
und nicht nur der Form, sondern auch der inneren Überzeugung nach mit
Wohlwollen gegenübergestanden haben. Lassen Sie mich auch den Mitgliedern der
Verbindungsstäbe in Bonn danken, die uns jederzeit in vornehmer und, fast kann
man sagen, freundschaftlicher Weise mit ihrem Rat zur Verfügung gestanden
haben.
Meine Damen und Herren! In den
drei Westzonen sind wir nun, nachdem die wirtschaftliche Konsolidierung
eingesetzt hat, auch in der politischen Konsolidierung ein gutes Stück
weitergekommen. Man sollte meines Erachtens nicht immer und ausschließlich auf
das Ziel sehen, das noch nicht erreicht ist. Man sollte meines Erachtens auch
auf die Wegstrecke sehen, die man auf dem Wege zum Ziel zurückgelegt hat. Ich
glaube, wenn wir das tun, dann werden wir - auch wenn wir uns darüber klar
sind, dass wir unser endgültiges Ziel noch keineswegs erreicht haben - doch mit
Genugtuung feststellen können, dass wir auf dem mühevollen Weg, der vor uns
gelegen hat, ein sehr gutes Stück weitergekommen sind.
Berlin hat schwere Zeiten hinter
sich. Aber diese schweren Zeiten scheinen doch jetzt zu Ende zu gehen. Wir
freuen uns von ganzem Herzen darüber. Sie haben soeben in so eindrucksvoller
Weise aus den Worten unseres verehrten Kollegen Löbe gehört, welches Leid und
welche Trübsal, welche Unfreiheit und welcher Zwang auf den Menschen in der
Ostzone liegt. Wir glauben aber doch, dass unsere politische Neuorganisation
auch nicht ohne Rückwirkung auf das Geschick der Ostzone bleiben wird.
(Abg. Renner: Vor allen Dingen
eure Hetzkampagne!)
Ich glaube, das macht man sich am
besten klar, wenn man sich vorstellt, welche politischen Folgen es gehabt haben
würde, wenn wir im Parlamentarischen Rat nicht zu einer Einigung gekommen wären.
(Abg. Renner: SA-Minister hätten
wir allerdings keine!)
Wir haben ein Kompromiss
geschlossen. Über das Kompromiss ist manches gesagt worden. Jedes Kompromiss
hat Fehler und Mängel. Aber ein Kompromiss hat auch einen großen Vorteil. Es
lehrt die Parteien, die so gezwungen waren, miteinander zu arbeiten, auch im
politischen Gegner den überzeugten, den ehrlichen Gegner zu schätzen. Darum
darf ich den Wunsch aussprechen, die maßgebenden politischen Parteien möchten
bei dem Wahlkampf, der nun entbrennen wird, mit dafür sorgen, dass man ehrlich
und in vornehmer Weise miteinander kämpft unter Zurückstellung alles dessen,
was jetzt nicht gelöst werden konnte und was trennen könnte, damit wir, wenn dieser
Wahlkampf vorüber ist, zu dem kommen, was einem Volke, das in so bitterer Not
ist wie das deutsche Volk, allein Not tut: Zusammenarbeit aller Parteien! Meine
Damen und Herren! Wir haben die dringende Bitte an die drei Militärgouverneure,
ihrerseits dafür Sorge zu tragen, dass dieses Grundgesetz schnellstens
genehmigt wird, und wir haben die Bitte an die Herren Ministerpräsidenten, sich
mit dafür einzusetzen, dass die Landtage dieses Grundgesetz schnellstens
ratifizieren. Noch ist das Grundgesetz nicht in Kraft getreten, meine verehrten
Kollegen, noch haben wir keinen Bundestag, noch haben wir keine
Bundesregierung, noch haben die 45 Millionen Deutschen in den Westzonen
niemanden, der sie nach außen hin vertritt, in einem Augenblick, in dem auf der
Pariser Konferenz vielleicht endgültig über unser Geschick entschieden wird!
Geben wir uns keiner Täuschung hin, dass diese Pariser Konferenz vielleicht
sehr ernste Folgen für uns haben kann.
Diese Außenministerkonferenz
aber, meine Damen und Herren, wird auch dann, wenn wir noch keine
Bundesregierung haben, nicht achtlos an der Tatsache vorübergehen können, die
wir heute durch unseren Beschluss hier in Bonn geschaffen haben.
(Abg. Renner: Also doch!)
Wir wünschen die Einheit
Deutschlands, wir wünschen sie von ganzem Herzen und von ganzer Seele. Wir
wünschen ein freies Deutschland, in dem der deutsche Mensch ein
menschenwürdiges Dasein führen kann wie jeder andere europäische Mensch. Wir in
der Westzone sind auf dem Wege zur politischen Freiheit. Wie die Zustände in
der Ostzone sind, haben Sie eben gehört. Das, was bei uns, und das, was in der
Ostzone geschieht, ist ebenso wenig zu vergleichen, wie Feuer und Wasser zu
vergleichen sind. Feuer und Wasser kann man nicht miteinander mischen. Deswegen
möchte ich in dieser bedeutungsvollen Stunde den alliierten Mächten zurufen:
Wir wollen nicht, dass durch die Verhandlungen in Paris etwa eine Annäherung
der Zustände in den Westzonen an die in der Ostzone erreicht wird.
(Abg. Renner: Keine Bodenreform!)
Wir wollen keine solche
Vermischung, sondern wir möchten, dass die Ostzone zu den gleichen Zuständen
gelangt, in denen wir leben,
(Lebhafte Zustimmung.)
damit wir dann die Einheit und
die Freiheit Deutschlands als gesichert ansehen können. Lassen Sie mich zum
Schluss noch zwei Sätze verlesen, die in den letzten Wochen an unser Ohr
geklungen sind. Der eine Satz stand in der Botschaft der drei Außenminister:
„Weiterhin stellen die Außenminister fest, dass es ein Hauptanliegen der drei
alliierten Regierungen ist, die engste Einbeziehung des deutschen Volkes
innerhalb eines demokratischen Bundesstaats in den Rahmen einer europäischen
Vereinigung auf einer für beide Seiten günstigen Grundlage zu fördern und zu
erleichtern."
Der zweite Satz ist enthalten in
einer Rede des amerikanischen Außenministers Acheson. Er hat erklärt: „Das
westdeutsche Volk mag versichert sein, dass die USA-Regierung mit keiner
generellen Lösung für Deutschland einverstanden sein wird, in welcher die
grundlegenden Schutzmaßnahmen und Vorteile der vorhandenen westdeutschen
Regelungen nicht aufgenommen sind. Es kann versichert sein, dass die
USA-Regierung bis zur Erreichung einer solchen Lösung fortfahren wird, der
Entwicklung des westdeutschen Programms starke Unterstützung zu gewähren."
Wir vertrauen auf diese Worte,
und ich glaube, dieses Vertrauen darf nicht getäuscht werden, wenn man wirklich
den Bestand Europas sichern will.
Wir haben noch weitere Wünsche;
wir wünschen auch, es möge auf dieser Pariser Konferenz endgültig dafür gesorgt
werden, dass unsere Kriegsgefangenen zurückkehren.
(Bravo!)
Wir wünschen auch die Rückkehr
der Verschleppten, die Rückkehr der Ausgetriebenen, und wir wünschen
schließlich auch, dass man dort über die Grenzziehung im Osten spricht und über
die Oder-Neiße-Linie, so wie wir es nach göttlichem und menschlichem Recht
verlangen können.
(Bravorufe und Händeklatschen
rechts und bei der SPD.)
Wir haben den größten Teil der
Arbeit an den Aufgaben, die dem Parlamentarischen Rat gestellt worden waren,
vollendet, auch wenn hier und da ein Missklang dazwischentönte, doch getragen
von dem Gefühl der Liebe und der Verpflichtung gegenüber dem deutschen Volke.
Meine Damen und Herren! Wir
wünschen, dass Gott dieses Volk und dieses Werk segnen möge, zum Segen Europas
und zum Segen des Friedens in der Welt!
(Erneute lebhafte Bravorufe und
Händeklatschen.)
Ich schließe die Sitzung.
Quelle: Parlamentarischer Rat.
Stenographischer Bericht. 10. Sitzung. 8. Mai 1949, S. 241-243.
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